Historisches Seminar
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Alt werden und alt sein in der Tschechoslowakei, 1948-1989 (Arbeitstitel)

Dissertationsprojekt von Judith Brehmer

Betreuer: Prof. Dr. Martin Schulze Wessel

 

In der zeithistorischen Forschung hält sich bis heute hartnäckig die These, die Modernisierung habe zu einer sozialen und politischen Marginalisierung älterer Menschen in den industrialisierten Gesellschaften Europas geführt. Für die sozialistischen Gesellschaften Ost-Mittel- und Osteuropas scheint diese Annahme auf den ersten Blick besonders zuzutreffen, war hier doch die produktive Arbeit des „neuen sozialistischen Menschen“ Grundvoraussetzung für dessen Teilhabe an der Gesellschaft sowie für die Erhebung von Ansprüchen gegen den Staat.

Forschungen zur Sowjetunion weisen jedoch darauf hin, dass diese Annahme kaum zu halten ist. Sie belegen, dass Senioren aufgrund unterschiedlicher Faktoren wie z.B. fortgesetzter Erwerbstätigkeit, Unterstützung der Familie in Kinderbetreuung und Haushalt oder auch Zuschreibungen moralischer Integrität und Lebenserfahrung durchaus einen relevanten Teil der Gesellschaft bildeten.

In der Tschechoslowakei trafen nach 1948 die radikalen Umbau- und Erziehungsbestrebungen des neu errichteten kommunistischen Regimes auf eine starke sozialstaatliche Tradition zentraleuropäischer Prägung. Auch hier drängte sich früher oder später die Frage auf, was es für den „neuen sozialistischen Menschen“ bedeutete, in einer auf produktive Arbeit, Jugend und Zukunftsversprechen fokussierten Gesellschaft alt zu werden bzw. zu sein.

Mein Projekt untersucht, wie das „Alter“ in der Tschechoslowakei zwischen 1948 und 1989 als spezifische Lebensphase konzipiert wurde. Ich betrachte „Alter“ als soziokulturelles Konstrukt, das auch Wahrnehmungen, Zuschreibungen und gesellschaftlichen Erwartungen sowie Praktiken gebildet wird. Ausgehend von einer diskursanalytischen Herangehensweise soll analysiert werden, welche sozialen Vorstellungen über das Alter von wem und mit welchen Zielen vermittelt und durchgesetzt wurden.

Ziel ist es, die Rolle von „Alter“ in gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen offenzulegen. Außerdem sollen Macht- und Solidaritätsbeziehungen zwischen Staat, Experten und Bevölkerung, aber auch zwischen Generationen analysiert werden.