Geschichte(n) schreiben. Fakt, Fiktion und Narration und ihre Wirkmächtigkeit im Osteuropa des 19. Jahrhunderts
Dissertationsprojekt von Matthias Melcher
Betreuer: Prof. Dr. Martin Schulze Wessel
Spätestens seit den viel diskutierten Thesen des US-amerikanischen Historikers Hayden White ist es ein der Historiographie ein Allgemeinplatz, dass auch der objektivste Versuch, Geschichte zu schreiben, auf narrative Formung angewiesen ist. Wenngleich die Rezeption von Whites Thesen über die „Tropics of Discourse“ zu kontroversen Debatten in den Geisteswissenschaften geführt hat, ist ein Aspekt kaum beleuchtet worden. Denn sobald feststeht, dass „Klio dichtet“, muss ebenso die Frage gestellt werden, inwiefern Kalliope Geschichte schreibt. Anders formuliert: welche gesellschaftlichen und politischen Wirkungen entfalten Narrative? Wie verbreiten sie sich in unterschiedlichen Ausprägungen (vom umfassenden „master narrative“ zum konkreten Roman)? Welche Faktoren sind für ihren performativen Erfolg oder Misserfolg verantwortlich? Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Promotionsprojekt, das das (lange) 19. Jahrhundert in Osteuropa als Untersuchungsrahmen wählt. Der regionalwissenschaftliche Ansatz soll dabei zum einen die Aussagekraft der Analyse erhöhen und sie so von Einzelfallstudien abheben. Zum anderen erlaubt die lokale Fokussierung auch überregionale Verflechtungen in einem noch überblickbaren Kontext auszuleuchten. Die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und seinen Nachwehen in Osteuropa eignet sich für eine Analyse besonders gut, da im diskutierten Zeitraum zahlreiche Narrative miteinander konkurrierten. Eine vergleichende Analyse verspricht also Aufschluss darauf zu geben, was ein erfolgreiches Narrativ ausmacht und warum andere Erzählungen keine performative Wirkung entfalten konnten.